Wellen und Naben gehören zu den am stärksten beanspruchten Maschinenelementen im gesamten Maschinenbau. Sie übertragen Drehmomente, Kräfte und Bewegungen – und sind damit zentrale Funktionsträger fast jeder Maschine.
Trotzdem entstehen viele Maschinenausfälle nicht durch Überlast, sondern durch vermeidbare Konstruktionsfehler: scharfe Übergänge, falsche Passungen oder unzureichende Kerbradien erzeugen Spannungsspitzen, die langfristig zu Ermüdungsbrüchen führen.
Dieser Artikel zeigt die wichtigsten Gestaltungsrichtlinien für Wellen und Naben, erklärt typische Fehlerquellen und gibt praxisnahe Hinweise, wie sich diese vermeiden lassen – unterstützt durch Tabellen und Empfehlungen aus der Fachliteratur.
TL;DR – Kernpunkte in 60 Sekunden
- Wellen-/Naben-Ausfälle entstehen meist durch Kerbwirkung an Übergängen, nicht durch Überlast
- Mindestradius: 2–5 % des Wellendurchmessers – scharfe Schultern unbedingt vermeiden
- Passfedern reduzieren Dauerfestigkeit um bis zu 40 % – Nutenden immer halbkreisförmig ausführen
- Nabenwandstärke: mindestens 0,3× Wellendurchmesser, idealerweise 0,5×
- 42CrMo4 vergütet für hohe Drehmomente, C45 für Standardanwendungen
- Oberflächenbehandlung (Kugelstrahlen, Polieren) erhöht Dauerfestigkeit signifikant
1. Belastungsarten von Wellen
Wellen sind in der Regel Mehrfachbeanspruchungselemente. Sie übertragen Drehmoment (Torsion), gleichzeitig wirken Biege- und Schubspannungen durch Radialkräfte von Zahnrädern, Riemen oder Lagern. Zusätzlich können Zug- oder Druckkräfte auftreten, etwa bei axial vorgespannten Baugruppen. Besonders kritisch ist die schwingende Belastung, die zu Dauerfestigkeitsproblemen führt.
Praxisbeispiel: Getriebewelle im Antriebsstrang
Eine Getriebewelle mit zwei Zahnrädern (Modul 3, z₁=30, z₂=45) überträgt 50 kW bei 1500 min⁻¹. Durch die Radialkräfte der Verzahnung entsteht eine überlagerte Biegebeanspruchung von ca. 3200 N pro Zahnrad.
Bei einem Schulterradius von nur 0,5 mm (statt empfohlenen 2,5 mm) steigt die Kerbspannung auf das 3,2-fache des Nennwerts. Folge: Ermüdungsbruch nach ca. 2 Millionen Lastwechseln – das entspricht etwa 6 Monaten Dauerbetrieb bei 8-Stunden-Schicht.
Mit korrektem Radius von 2,5 mm: Lebensdauer >20 Mio. Lastwechsel (>5 Jahre).
Faustregel: Je höher der Biegeanteil gegenüber der Torsion, desto größer das Risiko eines Kerbbruchs – daher sind Geometrieübergänge besonders kritisch.
2. Konstruktionsrichtlinien für Wellen-Übergänge: Radien gegen Kerbspannungen
Übergänge im Querschnitt sind die häufigste Ursache für Spannungskonzentration. Schultern sollten daher immer mit großzügigen Radien ausgeführt werden.
Quelle: DIN 509, VDI 2230. Werte gelten für schwellende Biegebeanspruchung. Bei reiner Torsion können Radien um 20–30 % kleiner ausfallen.
Der Radius sollte nicht nur aus Festigkeitsgründen großzügig gewählt werden, sondern auch so, dass er mit dem Werkzeugradius (Fräser, Drehstahl) harmoniert – so lassen sich unnötige Kerben bereits in der Fertigung vermeiden.
💡 Konstruktionspraxis
Bei hochbelasteten Wellen (z.B. Turbowellen, Getriebewellen): Radius so groß wie möglich wählen. Begrenzung oft durch Lagerbreite oder Nabenlänge. In solchen Fällen: Übergang mit zusätzlicher Entlastungsnut (Freistich nach DIN 509) ausführen.
Mehrere Übergangstufen bei großen Durchmessersprüngen
Bei großen Durchmesseränderungen sollte der Übergang nicht in einer einzigen Stufe erfolgen. Als Orientierung gilt: Beträgt das Verhältnis D/d > 1,2, sind mehrere Übergangstufen mit jeweils eigenen Radien die bessere Lösung.
⚠️ Faustregel: Durchmesserverhältnis D/d
D/d ≤ 1,2: Ein Übergang mit großzügigem Radius ausreichend
D/d > 1,2: Mehrere Stufen empfohlen (z.B. Ø40 → Ø45 → Ø50 mm statt direkt Ø40 → Ø50 mm)
Vorteil: Die Kerbformzahl βk sinkt mit jeder zusätzlichen Stufe. Bei zwei Übergängen mit je D/d = 1,12 liegt βk etwa bei 1,6 statt 2,4 bei einem einzelnen Übergang mit D/d = 1,25.
Rechenbeispiel: Einstufig vs. Zweistufig
Ausgangssituation: Übergang von Ø40 mm auf Ø50 mm (D/d = 1,25)
Variante 1 – Einstufig:
- Ein Absatz mit r = 2,5 mm
- Kerbformzahl βk ≈ 2,4 (aus FKM-Richtlinie)
- Spannung: σmax = 2,4 × σnom
Variante 2 – Zweistufig:
- Ø40 → Ø45 mm (D/d = 1,125) mit r = 1,5 mm → βk ≈ 1,6
- Ø45 → Ø50 mm (D/d = 1,111) mit r = 2,0 mm → βk ≈ 1,6
- Effektive Gesamtspannung deutlich niedriger
Ergebnis: Trotz etwas längerer Bauform sinkt die Spannungsspitze um ca. 30–35 %, was die Lebensdauer verdoppeln kann.
Entlastungsnuten zur gezielten Spannungsreduktion
Wenn Platz und Bauteilgeometrie begrenzt sind, bieten Entlastungsnuten (auch Freistiche nach DIN 509) eine elegante Lösung zur Kerbspannungsreduktion. Das Prinzip: Eine zusätzliche, kontrollierte Kerbe lenkt den Kraftfluss um und entlastet die kritische Schulter.
🔧 Funktionsprinzip
Die Entlastungsnut wird vor dem eigentlichen Übergang in den dünneren Wellenteil eingebracht. Sie wirkt wie ein „Sollbruch-Punkt“ für die Spannungslinien – diese konzentrieren sich in der Nut (wo der Querschnitt ohnehin kleiner ist) statt am hochbelasteten Übergang.
Typische Abmessungen für Entlastungsnuten:
Quelle: DIN 509, FKM-Richtlinie. Werte sind Richtwerte für schwellende Biegebeanspruchung.
💡 Tragfähigkeitssteigerung durch Entlastungsnuten
Untersuchungen an hochbelasteten Wellen zeigen: Eine korrekt dimensionierte Entlastungsnut kann die Tragfähigkeit um bis zu 35 % erhöhen. Entscheidend ist der Radius am Nutgrund – dieser sollte möglichst groß sein (mindestens 1,0 mm, besser 2,0–3,0 mm je nach Wellengröße).
Typische Anwendungen:
- Turbowellen in Flugtriebwerken und Turboladern
- Kurbelwellen in Hochleistungsmotoren
- Getriebewellen mit hohen Drehmomenten
- Pumpenwellen in der Öl- und Gasindustrie
⚠️ Achtung: Fertigungsqualität entscheidend
Entlastungsnuten müssen exakt gefertigt werden. Ein zu scharfer Nutgrund oder Fertigungsriefen wirken kontraproduktiv und können die Kerbwirkung sogar verschlimmern. Empfohlung: Nutgrund schleifen oder polieren, Oberflächenrauheit Rz ≤ 6,3 µm. Bei kritischen Anwendungen: 100 % Rissprüfung (Magnetpulver, Eindringprüfung).
3. Passfederverbindungen und Kerbwirkung
Passfedern stellen eine klassische Verbindung zwischen Welle und Nabe dar – sie übertragen Drehmomente formschlüssig. Die Kerbwirkung an der Nut kann jedoch die Dauerfestigkeit der Welle um bis zu 40 % reduzieren, wenn keine Entlastung vorgesehen ist.
- Nutenenden mit Halbkreisradius ausführen (nicht scharfkantig)
- Tiefe und Breite nach DIN 6885 (Form A oder B) wählen
- Bei hochbeanspruchten Wellen → Keilwellenverbindung oder Presssitz bevorzugen
- Am Nutgrund: Rz ≤ 16 µm zur Reduktion der Spannungsüberhöhung
Eine häufig übersehene Fehlerquelle: zu große Toleranzen zwischen Passfeder und Nut. Sie führen zu Schlagbewegungen, Materialausbrüchen und sind eine der Hauptursachen für Geräusche und vorzeitige Ausfälle im Betrieb.
4. Gestaltung der Nabe
Auch die Nabe trägt entscheidend zur Lebensdauer bei. Häufige Probleme entstehen durch zu geringe Wandstärke, ungenügende Presspassung oder ungleichmäßige Wanddicken.
Als Faustregel gilt: Die Wandstärke sollte mindestens 0,3-mal, idealerweise 0,5-mal dem Wellendurchmesser entsprechen. Kanten der Bohrung sollten mit einer Fase von 0,2–0,5 mm versehen werden. Bei Presssitzen empfiehlt sich eine Montageerwärmung auf 80–120 °C, um Spannungen während der Montage zu reduzieren und Beschädigungen zu vermeiden.
5. Reibdauerermüdung (Fretting Fatigue) – die unterschätzte Gefahr
Ein oft übersehenes Phänomen, das in der Praxis zu vielen unerklärlichen Wellenbrüchen führt: Reibdauerermüdung (engl. Fretting Fatigue). Selbst bei vermeintlich festen Welle-Nabe-Verbindungen entstehen unter Wechselbelastung Mikrobewegungen im Bereich von wenigen Mikrometern.
🔬 Was ist Fretting?
Bei zyklischer Belastung kommt es an den Kontaktflächen zwischen Welle und Nabe zu winzigen Relativbewegungen (typisch 2–50 µm). Durch die Reibung entstehen:
- Oxidpartikel (Reibrost) – sichtbar als rötlich-braune Ablagerungen
- Oberflächenzerrüttung – Mikrorisse an der Oberfläche
- Muldenbildung – lokale Materialabtragung
Diese Schäden wirken wie zusätzliche Kerben und können die Dauerfestigkeit um 20–40 % reduzieren – auch bei rechnerisch ausreichend dimensionierten Verbindungen.
Typische Schadensstellen
Fretting tritt besonders häufig auf bei:
- Passfedern-Verbindungen: An den Flanken der Passfeder und im Nutgrund, besonders bei Wechseldrehmoment
- Presssitzen mit zu geringem Übermaß: Wenn die Flächenpressung nicht ausreicht, um Mikrobewegungen zu verhindern
- Lagersitzen: Besonders Außenring-Passungen bei schwingender Belastung
- Schrumpfverbindungen: Bei unzureichender Vorspannung oder Temperaturschwankungen
🔍 Fretting erkennen
Visuelle Merkmale:
- Rötlich-braune Verfärbungen (Eisenoxid) an Kontaktflächen
- Feine Riefen oder Mulden an Passfedernuten oder Lagersitzen
- Asymmetrische Abnutzungsmuster
- Häufig kombiniert mit Ermüdungsrissen, die von den Fretting-Zonen ausgehen
Praxis-Tipp: Bei Revisionen von Welle-Nabe-Verbindungen immer auf Rostspuren achten – sie sind Frühwarnsignale für Fretting. Auch wenn die Verbindung noch hält, ist die Restlebensdauer stark reduziert.
Gegenmaßnahmen gegen Fretting
Die effektivste Strategie: Mikrobewegungen verhindern oder Reibung reduzieren.
1️⃣ Höheres Übermaß
Statt H7/p6 → H7/s6 oder H7/u6 bei Presssitzen. Die höhere Flächenpressung verhindert Mikrobewegungen effektiver.
Vorteil: Einfach umsetzbar, keine zusätzlichen Prozesse.
Nachteil: Erschwerte Montage/Demontage.
2️⃣ Oberflächenbeschichtungen
Festschmierstoffe: MoS₂, WS₂, PTFE reduzieren Reibkoeffizient
Moderne Systeme: EKagrip®, Molykote® – galvanisch aufgebracht
Vorteil: Bis zu 80 % Reibungsreduktion, verschleißfest.
Nachteil: Zusätzlicher Prozessschritt, Kosten.
3️⃣ Konstruktive Trennung
Elastomere Zwischenschichten bei schwingungsbelasteten Verbindungen (z.B. Gummifeder-Kupplungen)
Gleitlager statt Presssitz bei oszillierenden Bewegungen
Vorteil: Definierte Relativbewegung, kein Fretting.
Nachteil: Komplexere Konstruktion.
4️⃣ Oberflächenhärtung
Nitrieren, Carbonitrieren: Härtet Randzone auf 600–1000 HV
Induktionshärten: Lokale Härtung an kritischen Stellen
Vorteil: Höherer Verschleißwiderstand.
Nachteil: Risiko von Verzug, Nacharbeit nötig.
📊 Praxisfall: Windkraftanlagen-Hauptwelle
Bei Windkraftanlagen traten gehäuft Wellenbrüche an den Lagersitzen auf – trotz rechnerisch ausreichender Dimensionierung. Ursache: Fretting durch Mikrobewegungen bei wechselnder Windlast.
Lösung: Kombination aus höherem Übermaß (H6/s6), MoS₂-Beschichtung und Kugelstrahlen der Lagersitze. Ergebnis: Lebensdauer von durchschnittlich 8 Jahren auf >20 Jahre gesteigert, Ausfallrate um 85 % reduziert.
Wartungsempfehlung: Bei kritischen Welle-Nabe-Verbindungen (z.B. in Antriebssträngen, Turbomaschinen) regelmäßige Inspektionen durchführen. Fretting-Spuren sind ein klares Indiz für unzureichende Verbindungssteifigkeit – Austausch oder Nacharbeitung ist dann zwingend erforderlich, bevor es zum Bruch kommt.
6. Beispiel: Übergang von 40 mm auf 50 mm Welle
7. Werkstoff und Oberflächenbehandlung
Werkstoffe mit höherer Zähigkeit und Kerbfestigkeit sind zu bevorzugen.
- C45 für normale Belastung
- 42CrMo4 vergütet für hohe Drehmomente
- 16MnCr5 einsatzgehärtet bei verschleißgefährdeten Zonen
Zusätzlich können Oberflächenbehandlungen wie Polieren oder Kugelstrahlen die Dauerfestigkeit deutlich erhöhen, während Nitrieren oder Induktionshärten die Oberflächenhärte steigern und gleichzeitig die Elastizität im Kern bewahren.
Fazit: Konstruktion trifft Innovation
Die Konstruktion von Wellen und Naben ist weit mehr als die reine Geometriedefinition – sie ist ein Balanceakt zwischen Festigkeit, Montagefreundlichkeit, Fertigungskosten und Lebensdauer. Wer bereits in der Entwurfsphase auf sanfte Übergänge, geeignete Passungen und kerbarme Gestaltung achtet, spart im Betrieb teure Ausfälle und ungeplante Stillstände.
🎯 Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick
- Kerbwirkung ist vermeidbar: Großzügige Radien (2–5 % des Durchmessers), Entlastungsnuten und mehrere Übergangstufen können die Lebensdauer um Faktor 3–10 steigern
- Oberflächenqualität zählt: Rauheit Rz < 16 µm am Nutgrund und Kugelstrahlen erhöhen Dauerfestigkeit um bis zu 30 %
- Fretting ernst nehmen: Mikrobewegungen reduzieren Dauerfestigkeit um 20–40 % – höheres Übermaß oder Beschichtungen schaffen Abhilfe
- Werkstoffwahl bewusst treffen: 42CrMo4 vergütet für hohe Drehmomente, C45 für Standardanwendungen, Nitrieren für verschleißgefährdete Zonen
Aktuelle Entwicklungen und Trends 2024/2025
Die Welle-Nabe-Thematik bleibt hochaktuell – getrieben durch neue Anforderungen aus E-Mobilität, Windkraft und Hochleistungsantrieben. Der globale Markt für Welle-Nabe-Verbindungen wächst mit 7,1 % CAGR bis 2032, was zeigt: Die Optimierung dieser scheinbar „klassischen“ Maschinenelemente ist relevanter denn je.
🔬 Neue Beschichtungstechnologien
Moderne Systeme wie EKagrip® (galvanisch aufgebrachte Festschmierstoffe) reduzieren Reibung und Fretting um bis zu 80 %. Diese Technologien finden zunehmend Einsatz in Windkraftanlagen-Hauptwellen und E-Motoren-Rotorwellen, wo Mikrobewegungen unter Wechsellast kritisch sind.
⚙️ Hybride Trochoiden-Verbindungen
Auf der VDI-Konferenz „Zahnwellen und Welle-Nabe-Verbindungen“ (November 2024) wurden optimierte Zahnwellenprofile vorgestellt, die höhere Drehmomentübertragung bei gleichzeitig geringerer Kerbwirkung ermöglichen. Die Kombination aus Evolventen- und Trochoiden-Geometrie verspricht 20–30 % höhere Belastbarkeit.
🤖 KI-gestützte Auslegung
Moderne FEM-Analyse kombiniert mit Machine Learning ermöglicht die automatische Optimierung von Wellengeometrien. KI-Algorithmen generieren Freiformflächen, die Spannungsspitzen minimieren – bei gleichzeitiger Gewichtsreduktion von bis zu 15 %. Diese Methoden werden bereits in der Luftfahrt und im Motorsport eingesetzt.
🌱 Nachhaltige Fertigung
Additive Fertigung (3D-Druck aus Metall) ermöglicht komplexe Geometrien mit integrierten Entlastungsnuten und Kühlkanälen, die konventionell nicht herstellbar wären. Besonders für Prototypen und Kleinserien wird dies wirtschaftlich attraktiv – mit dem Zusatznutzen optimierter Materialausnutzung.
Von der Theorie zur Praxis: Der Weg zur optimalen Welle
Die hier vorgestellten Richtlinien basieren auf jahrzehntelanger Erfahrung aus der Fachliteratur und werden durch moderne Berechnungs- und Simulationsmethoden ergänzt. Doch auch die beste Berechnung ersetzt nicht das konstruktive Gespür und die fertigungstechnische Machbarkeit.
💡 Praxis-Workflow für die Wellenauslegung
- Lastfall definieren: Drehmoment, Biegemoment, Drehzahl, Lastkollektiv (dauerhaft/wechselnd)
- Werkstoff vorauswählen: C45 für Standard, 42CrMo4 für hohe Belastung, 16MnCr5 für Verschleißzonen
- Geometrie grob skizzieren: Durchmesser aus Torsions-/Biegeberechnung, Übergänge mit großzügigen Radien
- Verbindungselemente wählen: Passfeder, Presssitz oder Keilwelle? Abstand zu Übergängen beachten
- FEM-Analyse durchführen: Kerbspannungen prüfen, ggf. Entlastungsnuten oder zusätzliche Stufen vorsehen
- Fertigbarkeit prüfen: Radien an Werkzeuge anpassen, Oberflächenrauheit spezifizieren
- Dokumentation: Technische Zeichnung mit Toleranzen, Oberflächenangaben, Wärmebehandlung
Klassische Maschinenelementebücher und Konstruktionshandbücher liefern nach wie vor eine solide technische Grundlage. Diese wird heute ergänzt durch digitale Werkzeuge: FEM-Software (ANSYS, Abaqus), Berechnungsprogramme nach FKM-Richtlinie und zunehmend KI-gestützte Optimierungsalgorithmen.
🔮 Ausblick: Die Welle der Zukunft
In den kommenden Jahren werden wir eine zunehmende Verschmelzung von klassischer Konstruktionslehre und digitalen Methoden erleben. Digitale Zwillinge ermöglichen die Simulation des gesamten Lebenszyklus einer Welle – von der Fertigung über den Betrieb bis zur Schadensprognose. Sensoren an kritischen Stellen überwachen Schwingungen und Temperaturen in Echtzeit und ermöglichen Predictive Maintenance, bevor ein Bruch eintritt.
Doch bei aller Digitalisierung bleibt die Grundregel bestehen: Eine gut konstruierte Welle mit durchdachten Übergängen, sauberer Fertigung und passender Werkstoffwahl ist und bleibt die Basis für zuverlässige Maschinen – heute wie in Zukunft.
Die hier vorgestellten Prinzipien haben sich in unzähligen Anwendungen bewährt – von der kleinen Getriebewelle im Werkzeugmaschinenbau bis zur mehrere Tonnen schweren Turbowelle in Kraftwerken. Wer sie beherzigt, legt den Grundstein für langlebige, wartungsarme Maschinen.
📘 FAQ – Häufig gestellte Fragen
Warum brechen Wellen oft an Schultern?
Weil dort Spannungsspitzen durch Querschnittsänderungen entstehen. Ein zu kleiner Radius führt zu Kerbspannungen, die bei schwingender Belastung zu Ermüdungsbrüchen führen. Die Kerbwirkungszahl β kann bei scharfen Übergängen Werte von 3–5 erreichen, was bedeutet, dass die lokale Spannung 3–5-mal höher ist als die Nennspannung.
Welche Radiuswerte gelten als sicher?
Je nach Durchmesser sollte der Radius etwa 2–5 % des Wellendurchmessers betragen. Bei hochbelasteten Übergängen sind größere Radien oder zusätzliche Entlastungsnuten (Freistiche nach DIN 509) besser. Für sicherheitsrelevante Anwendungen: FEM-Analyse durchführen und Kerbformzahl βₖ < 2,0 anstreben.
Wie kann man die Kerbwirkung bei Passfedern reduzieren?
Durch halbkreisförmige Nutenden (nicht scharfkantig auslaufend), glatte Oberflächen (Rz ≤ 16 µm am Nutgrund) und ausreichenden Abstand der Nut zu Schultern oder Lagerstellen (mindestens 1,5× Wellendurchmesser). Zusätzlich: Nuttiefe so gering wie möglich wählen – oft reicht Form A nach DIN 6885 statt der tieferen Form B.
Was bringt Kugelstrahlen oder Polieren?
Diese Verfahren verbessern die Oberflächenqualität und führen zu Druckeigenspannungen in der Randzone – was die Dauerfestigkeit signifikant erhöht (typisch +15–30 %). Kugelstrahlen erzeugt Druckeigenspannungen bis ca. 0,3 mm Tiefe, Polieren reduziert Mikrorisse und Oberflächenkerben. Besonders effektiv bei gehärteten Werkstoffen (>45 HRC).
Wann sollte man Presssitz statt Passfeder verwenden?
Presssitz (z.B. H7/s6, H7/u6) ist vorzuziehen bei:
- Hohen Drehzahlen: Keine Unwucht durch Passfedernut
- Wechselnden Drehmomenten: Keine Schlagbewegung in der Nut
- Dauerfestigkeitsanforderungen: Keine Kerbwirkung durch Nut (Dauerfestigkeit bis zu 40 % höher)
- Platzproblemen: Nabenlänge kann kürzer sein als bei Passfeder
Nachteil: Schwierigere Montage/Demontage (Erwärmen der Nabe oder Hydraulik-Presswerkzeug erforderlich). Alternative für häufige Demontage: Keilwellenverbindung nach DIN 5480 oder Polygonwellenverbindung nach DIN 32711.
Wie berechnet man die erforderliche Nabenwandstärke?
Grundformel nach Lehrformel:
s ≥ 0,3 × dWelle (Minimum)
s ≥ 0,5 × dWelle (empfohlen für hochbelastete Verbindungen)
Genauere Berechnung bei Presssitz:
Die Flächenpressung p zwischen Welle und Nabe muss ausreichend sein, um das Drehmoment Mt zu übertragen:
p = 2 × Mt / (π × d² × l × μ)
Dabei: d = Wellendurchmesser, l = Nabenlänge, μ = Reibwert (≈ 0,12–0,15 für Stahl/Stahl)
Die Nabenwandstärke s ergibt sich dann aus der zulässigen Tangentialspannung σt,zul des Nabenmaterials nach Lame’scher Kesselformel. Bei dünnwandigen Naben zusätzlich auf Montage-Zugspannungen achten.
Was ist besser: Fase oder Radius am Übergang?
Radius ist festigkeitstechnisch besser – er verteilt die Spannung sanfter als eine Fase. Faustregel:
- Radius: Kerbformzahl βk = 1,5–2,5 (je nach r/d-Verhältnis)
- Fase 45°: Kerbformzahl βk = 2,0–3,0
- Scharfer Übergang: Kerbformzahl βk > 4,0
Fertigungstechnisch ist eine Fase oft einfacher (Standard-Werkzeug, kein Formfräser). Kompromiss: Fase + kleiner Radius (0,5–1 mm) kombinieren – reduziert Kerbwirkung um ca. 20–30 % gegenüber reiner Fase.
Bei hochbelasteten Wellen: Immer Radius bevorzugen, ggf. mit zusätzlichem Freistich nach DIN 509.
Welche Rolle spielt die Oberflächenrauheit für die Dauerfestigkeit?
Sehr große Rolle! Rauheitsspitzen wirken wie Mikrokerben und reduzieren die Dauerfestigkeit erheblich:
- Rz = 100 µm (geschruppt): Reduktion der Dauerfestigkeit um ca. 40 %
- Rz = 25 µm (geschlichtet): Reduktion um ca. 20 %
- Rz = 6,3 µm (feingeschliffen): Reduktion um ca. 10 %
- Rz < 3,2 µm (poliert): Minimale Reduktion, ggf. sogar Erhöhung durch Druckeigenspannungen
Empfehlung für hochbelastete Wellen:
- Lagersitze: Rz ≤ 6,3 µm (geschliffen)
- Passfedern-Nutgrund: Rz ≤ 16 µm (gefräst + entgratet)
- Übergangsbereiche/Schultern: Rz ≤ 10 µm (geschliffen)
Zusätzlich: Alle Kanten brechen (Fase 0,2–0,5 mm) – verhindert Anrisse bei Montage.
📚 Quellen und weiterführende Literatur
- DIN 6885: Passfedern, Nuten für Passfedern – Maße, Anwendung
- DIN 509: Technische Zeichnungen – Ausrundungen und Kantenübergänge
- DIN 5480: Passverzahnungen mit Evolventenflanken (Keilwellenverbindungen)
- VDI 2230: Systematische Berechnung hochfester Schraubenverbindungen
- Maschinenbauerhandbuch (Standardwerk für Konstruktionsrichtlinien, international etabliert)
- Roloff/Matek: Maschinenelemente, 24. Auflage (2021), Springer Vieweg
- Dubbel: Taschenbuch für den Maschinenbau, 25. Auflage (2020), Springer
- FKM-Richtlinie: Rechnerischer Festigkeitsnachweis für Maschinenbauteile (6. Auflage, 2012)
⚠️ Technischer Hinweis: Die in diesem Artikel genannten Richtwerte und Konstruktionsempfehlungen dienen der Orientierung für typische Maschinenbauanwendungen im allgemeinen Maschinenbau. Sicherheitsrelevante Bauteile (z.B. Krananlagen nach DIN EN 13001, Druckgeräte nach AD 2000, Fahrzeugkomponenten) erfordern eine normgerechte Festigkeitsberechnung nach den jeweils gültigen Regelwerken sowie experimentelle Validierung. Bei dynamisch hochbeanspruchten Wellen wird eine FEM-Analyse mit Kerbspannungsberechnung dringend empfohlen. Im Zweifelsfall sollte ein Festigkeitsnachweis nach FKM-Richtlinie oder durch einen Sachverständigen erfolgen.
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